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Paloma Krõõt Tupay - Verfassung und Verfassungsänderung in Estland. Mit ergänzenden Anmerkungen zu deutschen Recht

Kurzcharakteristik:

Die Verfassung als „Grundnorm“ einer staatlichen Gemeinschaft  verdient nach allgemeiner Auffassung einen besonderen Schutz vor tagespolitischen Launen und populistischen Gemütsschwankungen, die (in der Regel) in den Schutzmechanismen der Verfassungen ihren Ausdruck finden. Die Verfassung Estlands bildet insoweit keine Ausnahme. Vielmehr hat das verfassungsrechtlich noch junge historische Gedächtnis Estlands die Verfasser des Grundgesetzes gelehrt, hinreichend Vorkehrungen gegen eine leichtfertige Änderung dieses staatlichen Grundsatzdokumentes zu treffen. Aus diesem Grund stellt das im XV. Kapitel der Verfassung festgelegte Verfassungsänderungsverfahren an einen erfolgreichen Änderungsantrag verhältnismäßig hohe Anforderungen. Dies und der bisher allgemein vorhandene politische Konsens, die Anzahl der Verfassungsänderungen möglichst gering zu halten, können wohl als Grund dafür angeführt werden, dass in der zwanzigjährigen Geschichte der vierten Verfassung Estlands diese bisher lediglich vier Mal im Wege des förmlichen Verfahrens abgeändert worden ist.  

Um die Konformität der estnischen Rechtsordnung mit den Grundsätzen des Europarechts zu gewährleisten, hat der estnische Gesetzgeber das am 14. September 2003 positiv bestätigte EU-Referendum mit der Annahme eines Ergänzungsgesetzes zur estnischen Verfassung verbunden. § 2 des insgesamt aus nur vier Paragraphen bestehenden Ergänzungsgesetzes lautet: „Während der Mitgliedschaft Estlands in der Europäischen Union wird das Grundgesetz für die Republik Estland unter Berücksichtigung der sich aus dem Beitrittsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten angewendet.“ 

Bei der Anwendung dieses Grundsatzes sind die Gerichte weit gegangen. Das estnische Staatsgericht, das höchste Gericht in Estland, erklärte so u.a. im Mai 2006, dass, „die Wirksamkeit solcher [innerstaatlicher] Rechtssätze angehalten“ werde, die nicht im Einklang stünden mit dem europäischen Recht. Eine solche, weitgehend „föderalistische“ Auslegung des nationalen Verfassungsrechts, die im gesamten Rechtsraum der Europäischen Union eine Ausnahme darstellt, verdient im Rahmen der Arbeit besondere Beachtung.  

Die im estnischen Grundgesetz geregelten Grundsätze der Verfassungsänderung, die an das innerstaatliche Verfahren einer Verfassungsänderung verhältnismäßig hohe Anforderungen stellen, scheinen sich damit erheblich vom Regelungsgehalt des Ergänzungsgesetzes und der hierauf beruhenden gefestigten Rechtsprechung zu unterscheiden, die die Möglichkeit einer praktisch „schrankenlosen“ Auslegung und „Aussetzung“ der estnischen Verfassungsbestimmungen eröffnen. 

Die unterschiedlichen Verfahren der Verfassungsänderung, ihr gegenseitiges Verhältnis und insbesondere ihre Auswirkungen auf die „Verfassungswirklichkeit“ der estnischen Verfassung näher zu untersuchen ist das Ziel dieser Doktorarbeit.

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