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Timo Sewtz - Prozeduralisierung moralisch-ethisch sensibler Fälle im regionalen Menschenrechtsschutz

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wird in den letzten Jahren zunehmend ein procedural turn wahrgenommen. Dahinter steht ein Ansatz, nach welchem der EGMR neben einer inhaltlichen Überprüfung einer beanstandeten staatlichen Maßnahme (substantive review) verstärkt auch die Qualität des Verfahrens hinter dieser Maßnahme kontrolliert (procedural review oder process-based review). Beispielsweise wird hierfür die Qualität des legislativen Prozesses eines beanstandeten Gesetzes in die Bewertung, ob eine Konventionsverletzung vorliegt, miteinbezogen. Die Wahrnehmung einer solchen Prozeduralisierung lässt sich in eine umfangreichere Entwicklung des Menschenrechtsschutzes in Europa, welcher sich in einem „Zeitalter der Subsidiarität“ (Spano) befinden soll, einordnen.

 

Während im Hinblick auf einen solchen Ansatz zum einen befürchtet wird, dass eine Kontrolle innerstaatlicher Verfahrensprozesse zu stark in die Souveränität der Konventionsstaaten eingreift, droht zum anderen die Gefahr, dass durch eine bloße Kontrolle des Verfahrens der effektive Menschenrechtsschutz und die Fortentwicklung menschenrechtlicher Standards nicht hinreichend gewährleistet wird. Insbesondere in moralisch-ethisch sensiblen Fällen (z.B. Fälle betreffend Fortpflanzung, Abtreibung, Sterbehilfe, sexuelle Orientierung, Religiosität im öffentlichen Leben) wirkt eine zunehmende Akzentuierung der gerichtlichen Kontrolle des Verfahrens als eine Möglichkeit, eine als zu kontrovers empfundene (rein) inhaltsbezogene Entscheidung, die aufgrund der Gefahr eines Legitimationskonfliktes mit den Konventionsstaaten gefürchtet wird, zu vermeiden. Zugleich birgt ein solcher Ansatz die Gefahr divergierender Menschenrechtsschutzstandards in Europa und einer Spaltung zwischen den Konventionsstaaten. Befürworter betonen hingegen die Möglichkeit einer Stärkung des Subsidiaritätskonzepts, was aufgrund der geringeren demokratischen Legitimation des EGMR im Vergleich zu den Entscheidungsträgern in den Mitgliedstaaten und der Überlastung des Straßburger Systems notwendig sei. Durch ein Hervorheben der Bedeutung des Verfahrens könne ein Anreiz für die Mitgliedsstaaten geschaffen werden, sich schon im Verfahren stärker mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auseinanderzusetzen.

 

Zu analysieren gilt daher, wie der EGMR – auch im Vergleich zu anderen regionalen und internationalen Menschenrechtsschutzsystemen – mit moralisch-ethisch sensiblen Fällen in Zeiten politischer Spannungen umgeht, und wie ihm dabei das Konzept der Prozeduralisierung hilft oder schadet. Die Arbeit will den Forschungsstand und -diskurs so um einen rechtsvergleichenden Aspekt ergänzen, um gerade am Beispiel moralisch-ethisch sensibler Fragen Chancen und Grenzen einer zunehmenden Prozeduralisierung im regionalen Menschenrechtsschutz auszuleuchten.

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wird in den letzten Jahren zunehmend ein procedural turn wahrgenommen. Dahinter steht ein Ansatz, nach welchem der EGMR neben einer inhaltlichen Überprüfung einer beanstandeten staatlichen Maßnahme (substantive review) verstärkt auch die Qualität des Verfahrens hinter dieser Maßnahme kontrolliert (procedural review oder process-based review). Beispielsweise wird hierfür die Qualität des legislativen Prozesses eines beanstandeten Gesetzes in die Bewertung, ob eine Konventionsverletzung vorliegt, miteinbezogen. Die Wahrnehmung einer solchen Prozeduralisierung lässt sich in eine umfangreichere Entwicklung des Menschenrechtsschutzes in Europa, welcher sich in einem „Zeitalter der Subsidiarität“ (Spano) befinden soll, einordnen.

 

Während im Hinblick auf einen solchen Ansatz zum einen befürchtet wird, dass eine Kontrolle innerstaatlicher Verfahrensprozesse zu stark in die Souveränität der Konventionsstaaten eingreift, droht zum anderen die Gefahr, dass durch eine bloße Kontrolle des Verfahrens der effektive Menschenrechtsschutz und die Fortentwicklung menschenrechtlicher Standards nicht hinreichend gewährleistet wird. Insbesondere in moralisch-ethisch sensiblen Fällen (z.B. Fälle betreffend Fortpflanzung, Abtreibung, Sterbehilfe, sexuelle Orientierung, Religiosität im öffentlichen Leben) wirkt eine zunehmende Akzentuierung der gerichtlichen Kontrolle des Verfahrens als eine Möglichkeit, eine als zu kontrovers empfundene (rein) inhaltsbezogene Entscheidung, die aufgrund der Gefahr eines Legitimationskonfliktes mit den Konventionsstaaten gefürchtet wird, zu vermeiden. Zugleich birgt ein solcher Ansatz die Gefahr divergierender Menschenrechtsschutzstandards in Europa und einer Spaltung zwischen den Konventionsstaaten. Befürworter betonen hingegen die Möglichkeit einer Stärkung des Subsidiaritätskonzepts, was aufgrund der geringeren demokratischen Legitimation des EGMR im Vergleich zu den Entscheidungsträgern in den Mitgliedstaaten und der Überlastung des Straßburger Systems notwendig sei. Durch ein Hervorheben der Bedeutung des Verfahrens könne ein Anreiz für die Mitgliedsstaaten geschaffen werden, sich schon im Verfahren stärker mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auseinanderzusetzen.

 

Zu analysieren gilt daher, wie der EGMR – auch im Vergleich zu anderen regionalen und internationalen Menschenrechtsschutzsystemen – mit moralisch-ethisch sensiblen Fällen in Zeiten politischer Spannungen umgeht, und wie ihm dabei das Konzept der Prozeduralisierung hilft oder schadet. Die Arbeit will den Forschungsstand und -diskurs so um einen rechtsvergleichenden Aspekt ergänzen, um gerade am Beispiel moralisch-ethisch sensibler Fragen Chancen und Grenzen einer zunehmenden Prozeduralisierung im regionalen Menschenrechtsschutz auszuleuchten.

 

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Timo Sewtz